Steuerfahndung: Razzia im Morgengrauen

Bei Durch­suchungs­maß­nahmen der Steuer­fahn­dung gilt für alle Be­tei­lig­ten der dringende Rat, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Das gilt vor allem dann, wenn die Maß­nahme das be­tref­fende Unter­nehmen über­fall­artig trifft.

Der Begriff Dawn Raids veranschaulicht, wie be­hörd­liche Durchsuchungen von Betroffenen erlebt werden, nämlich meist als überfallartige Razzien im Morgengrauen. Tatsächlich beginnen Durch­su­chun­gen häufig am frühen Morgen, sobald das Unter­neh­men den Betrieb aufnimmt. Nach der Straf­pro­zess­ord­nung (StPO) dürfen sie in den Sommermonaten ab vier  Uhr morgens und in den Wintermonaten ab sechs Uhr stattfinden. Durch­su­chun­gen dienen dem Auffinden von Beweismaterial. Da im Unternehmen fast alle Ge­schäfts­vor­fälle do­ku­men­tiert werden, verwundert es nicht, dass bei steuerstrafrechtlichen Ermittlungen die Durchsuchung der Geschäftsräume das zentrale Ermittlungsinstrument der Fi­nanz­be­hör­den darstellt.

Rechtlicher Rahmen

„Zumindest in groben Zügen sind auch die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, anzugeben.“

Die Finanzbehörden sind gemäß § 386 AO befugt, Steuerstraftaten in eigener Zuständigkeit zu ver­fol­gen. Das gilt nur dann nicht, wenn über Steuer­straf­taten hinaus auch weitere Straftaten verfolgt werden, wegen der Tat ein Haftbefehl erlassen oder bereits Anklage erhoben wurde. In diesen Fällen liegt die Leitung der Ermittlungen in den Händen der Staats­an­walt­schaft. Die Steuerfahndung fungiert im Rahmen der Ermittlungen als eine Art Steuerpolizei (§ 404 Satz 1 AO) und führt die richterlich angeordnete Durchsuchung durch. Die Straf- und Buß­geld­sachen­stelle (BuStra) des Finanzamts tritt im Rahmen der eigen­stän­di­gen Er­mitt­lungs­kom­pe­tenz als steuerliche Staatsanwaltschaft hinzu, das heißt, sie ist Herrin des Verfahrens und daher auch befugt, den Durch­su­chungs­an­trag beim zuständigen Amtsgericht zu stellen. Eine Besonderheit des steuer­straf­recht­lichen Ver­fahrens ergibt sich aus der sogenannten Dop­pe­lung des Verfahrens. Denn parallel zur Durchführung des Er­mitt­lungs­ver­fahrens tritt das steuerliche Verfahren mit der Zielsetzung hinzu, die Be­steue­rungs­grund­lagen zu ermitteln. Nach § 393 AO werden grundsätzlich beide Verfahren neben­ein­an­der durch­ge­führt. Nach der StPO müssen Durch­su­chungen und Be­schlag­nahmen grundsätzlich vorher durch den Richter in einem schriftlich abzufassenden Beschluss angeordnet werden. Soweit die gesuchten Gegenstände bereits näher bezeichnet werden können (zum Beispiel Buch­hal­tungs­unter­lagen der Jahre 2014 bis 2017), darf die richterliche Be­schlag­nah­me­an­ord­nung mit der Durch­su­chungs­an­ord­nung verbunden werden, was in der Praxis auch häufig geschieht. Inhaltlich müssen in der Durch­su­chungs­an­ord­nung die verfolgte Tat mit Be­ge­hungs­zeit und -ort sowie der Zweck der Maßnahme konkret bezeichnet werden. Zumindest in groben Zügen sind auch die Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, anzugeben. Schließlich muss in der Anordnung eindeutig mitgeteilt werden, wer von der Maßnahme betroffen sein soll und auf welche Räumlichkeiten sich die Durchsuchung beziehen soll. Eine richterliche Durchsuchungsanordnung richtet sich entweder nach § 102 StPO gegen den Verdächtigen selbst oder aber nach § 103 StPO gegen andere Personen, zu denen regelmäßig auch das Unternehmen als juristische Person gehört. Die letztgenannte Vorschrift erlaubt die Durchsuchung, wenn konkrete An­halts­punkte dafür vorliegen, dass sich in den Geschäftsräumen bestimmtes Beweis­ma­te­rial befindet. Beim Ver­däch­ti­gen reicht dagegen die bloße Vermutung, dass sich bei ihm Beweismittel finden werden. Durch­su­chun­gen, für die keine richterliche Anordnung vorliegt, müssen deshalb nicht zwangsläufig rechtswidrig sein. So darf bei Gefahr im Verzug eine Durchsuchung auch durch die Steuerfahndung (§§ 386 II, 399 I AO) angeordnet werden. Der gesetzliche Ausnahmefall liegt vor, wenn die richterliche Anordnung nicht mehr ohne eine Gefährdung des Durchsuchungszwecks eingeholt werden kann (§ 105 StPO).

Kühlen Kopf bewahren

Auch wenn Durchsuchungen der Steuerfahndung heutzutage meist von geschäftsmäßig agierenden Beamten ausgebracht werden, ändert dies nichts an deren erheblicher Ein­griffs­in­ten­si­tät. Nur wer in dieser Situation einen kühlen Kopf behält, seine Rechte und Pflichten richtig einzuschätzen vermag, ist davor geschützt, in ohnmächtige Hilflosigkeit oder gar in Panik zu verfallen und in der Folge durch unbedachtes Verhalten sich selbst, Kollegen oder dem Unternehmen Schaden zuzufügen. Wie aber können sich Unternehmen auf die Razzia im Mor­gen­grauen vorbereiten? Und wie sollten sich die Be­trof­fe­nen im Ernstfall verhalten?

Vorbereitende Maßnahmen

Im Vorfeld sollte zunächst ein Unter­neh­mens­an­ge­höriger bestimmt werden, der im Ernstfall als verantwortlicher Ansprechpartner zur Verfügung steht und intern alle Maßnahmen koordiniert. Falls das Unternehmen über eine Rechtsabteilung verfügt, erscheint dessen Leiter als Koordinator besonders geeignet. Auch der Kontakt zu einem fachlich versierten Rechtsanwalt sollte hergestellt werden, um diesen im Ernstfall hinzuziehen zu können. Es sollten zudem schriftliche Ver­hal­tens­em­pfeh­lungen aus­ge­ar­bei­tet werden, die an alle Mitarbeiter verteilt werden, die von einer Durchsuchung betroffen sein könnten. Dazu zählen jedenfalls die Personen, die im Em­pfangs­be­reich arbeiten und damit zu allererst in Kontakt mit den Fahndern kommen, aber auch die Mitarbeiter der Buchhaltung, der Steuer- und der Rechtsabteilung, die Sekretariatsmitarbeiter auf Ge­schäfts­füh­rungs­ebene und natürlich die Ge­schäfts­füh­rung selbst. Mit den po­ten­ziell be­tei­lig­ten Mit­ar­bei­tern sollten schließlich in Schu­lungs­ver­an­stal­tun­gen die Ver­hal­tens­em­pfeh­lun­gen besprochen und offene Fragen diskutiert werden.

Verhalten während der Durchsuchung

Auch wenn die Durchsuchung als überfallartige Razzia wahrgenommen wird, gilt für alle Beteiligten der dringende Rat, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und Unhöflichkeit nicht mit noch größerer Unhöflichkeit zu erwidern, denn die daraus re­sul­tie­ren­den Konflikte gehen fast immer zulasten des Mitarbeiters. Sobald sich die Durchsuchungsbeamten im Eingangsbereich zu erkennen gegeben haben, sollten sie zunächst in einen Besprechungs- oder Aufenthaltsraum geleitet und die Herbeiholung eines Verantwortlichen angekündigt werden. Spätestens, sobald sich die Beamten in dem Raum befinden, sind die Rechts­ab­tei­lung und die Geschäftsleitung über die bevorstehende Durchsuchung zu informieren. Dies muss von den Beamten auch gestattet werden. Sofern vorhanden, ist der oben erwähnte Koordinator zu informieren, der dann auch die weiteren Maß­nah­men in die Wege leiten kann, unter anderem die Verständigung des externen Rechtsanwalts. Während des Wartens auf den verantwortlichen An­sprech­part­ner sollten die Namen und Dienststellen der Beamten durch einen Mitarbeiter erfragt und notiert werden. Auch die Dienstausweise können kontrolliert werden. Zu Beginn der weiteren Gespräche mit den Beamten ist zunächst um Aushändigung des richterlichen Durch­su­chungs­be­schlusses zu bitten, um diesen lesen und fotokopieren zu können. Falls die Beamten keinen Beschluss vorlegen können, ist nach der rechtlichen Grundlage für die Maßnahme (meist Gefahr in Verzug) zu fragen und die Bitte nach genauer Erläuterung zu äußern. Dabei sollten die Angaben der Beamten, die zu dieser Erläuterung auch gesetzlich verpflichtet sind, sorgfältig notiert werden. Erkennt der hinzugezogene Rechtsbeistand Defizite im Durch­su­chungs­be­schluss, kann die Wahrnehmung von Rechtsschutzmöglichkeiten erwogen werden. Gegen die Mitnahme von Unterlagen, die vom Wortlaut des richterlichen Beschlusses eindeutig nicht gedeckt sind, sollte auf jeden Fall Widerspruch angemeldet werden. Gleiches gilt auch für die Mitnahme von Anwaltspost. Auch dann, wenn während der gesamten Durchsuchung kein Rechtsbeistand anwesend sein kann, empfiehlt es sich, gegen jede Sicherstellung ausdrücklich Widerspruch zu erheben. Während der Durch­su­chung ist darauf zu achten, dass ausschließlich solche Gegenstände mitgenommen werden, die in einem schriftlichen Sicherstellungsverzeichnis lückenlos aufgeführt und eindeutig bezeichnet werden. Bei der Beschlagnahme von Unterlagen und Daten sollte immer die Bitte geäußert werden, Fotokopien beziehungsweise Dateikopien anfertigen zu dürfen. Soweit die Kopier­maß­nahmen in ihrem zeitlichen Umfang parallel zur Dauer der Durchsuchung durchgeführt werden können, wird der Bitte des Unternehmens in vielen Fällen Folge geleistet. Das Anliegen sollte unter Hinweis auf betriebliche Erfordernisse, zum Beispiel laufende Abrechnungen, Fristen und so weiter, begründet werden. Die Mitarbeiter sollten formlose Unterredungen mit den Beamten über den Gegenstand der Ermittlungen vermeiden. Gespräche sollten auf or­ga­ni­sa­to­rische Fragen (zum Beispiel den Standort einzelner Aktenstücke) beschränkt werden. Sollten die Steuerfahnder auf eine förmliche Vernehmung bestehen, so kommt es darauf an, ob der Mitarbeiter als Beschuldigter oder als Zeuge vernommen werden soll. Als Beschuldigter hat er ein Aus­sa­ge­ver­wei­ge­rungs­recht und ist gut beraten, sich zunächst den Beistand eines Rechtsanwalts zu sichern, bevor er eine Aussage tätigt. Soll eine Zeugenvernehmung durchgeführt werden, kann dem betroffenen Mitarbeiter nur generell der Rat vermittelt werden, gegenüber der Steuer­fahn­dung die Bitte zu äußern, sich zuvor anwaltlichen Rat einholen zu dürfen. Sollte gleichwohl auf einer sofortigen Vernehmung bestanden werden, so ist es von Vorteil, wenn ein externer Rechtsanwalt vor Ort ist, der als Zeugen­bei­stand fungieren kann. Allein dessen Anwesenheit kann dazu beitragen, dass der Zeuge seine Rechte, aber auch seine Pflichten besonnen wahrnimmt. Während der gesamten Durchsuchung ist darauf zu achten, dass kein Mitarbeiter die Durch­su­chungs­be­am­ten behindert oder panikartig Unterlagen ver­schwin­den lässt. Ein solches un­be­dachtes Verhalten kann strafbar sein und sogar eine Verhaftung begründen. Um im Anschluss an die Durchsuchung unternehmensintern eine Be­stands­auf­nahme zu ermöglichen, sollte zeitnah ein Gedächtnisprotokoll über das Auftreten und eventuelle Äußerungen der Beamten angefertigt werden.

Nach der Durchsuchung

Nach der Durchsuchung wird das Unternehmen mit seinen Beratern zu prüfen haben, ob gegen die Maßnahme rechtliche Schritte eingeleitet be­zie­hungs­weise weiterverfolgt werden sollen. Hierbei sind die Erfolgsaussichten eines streitigen Verfahrens mit den Vorteilen einer Kooperation mit der Er­mitt­lungs­be­hörde abzuwägen. Besteht Einigkeit darin, dass die Zwangsmaßnahme mit allen Mitteln abzuwehren ist, dann bietet das Gesetz hierzu verschiedene Möglichkeiten. So können richterliche Anordnungen mit der Beschwerde (§ 304 StPO) angefochten werden. Gegen Anordnungen der Staatsanwaltschaft oder der Steuerfahndung ist dagegen der Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 98 II 2 StPO) zulässig, der sich immer an den Er­mitt­lungs­richter beim Amtsgericht richtet. Im Regelfall markiert die Beendigung der Durchsuchung erst den Beginn der Befassung des Unter­neh­mens mit dem zugrunde liegenden Verfahren. Denn weil Durch­su­chun­gen meist am Anfang eines Er­mitt­lungs­ver­fahrens stehen, wird erst danach zu diskutieren sein, wie sich das Unternehmen selbst und ge­ge­be­nen­falls die von den Ermittlungen betroffenen Mitarbeiter im weiteren Steuer- und Ermittlungsverfahren ein­bringen wollen.

Quelle: DATEV magazin 10/19, Autor: Dr. Thomas Heil

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